Stellungnahme zum Diskussionsentwurf einer Behördenaktenübermittlungsverordnung (BehAktÜbVO)
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. (DSGT) bedanke ich mich für die Gelegenheit, zu dem im Betreff genannten Diskussionsentwurf einer Behördenaktenübermittlungsverordnung (im Folgenden: DiskE) Stellung zu nehmen und mache ich hiervon gerne Gebrauch:
I. Zusammenfassung
Der DSGT begrüßt grundsätzlich den Entwurf der BehAktÜbVO.
Die elektronische Verfahrensbearbeitung durch die Sozialgerichte (wie auch durch die Verwaltungs- und die Finanzgerichte) wird nach wie vor ganz erheblich dadurch erschwert, dass keine einheitlichen und verpflichtenden Standards für die Übermittlung elektronischer Verwaltungsakten durch die Behörden an die Gerichte existieren. Darauf hat der DSGT bereits in seiner Stellungnahme vom 27.11.2023 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz hingewiesen. Dass sich der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber dieser Thematik nunmehr annimmt, ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen. Der vorgelegte Entwurf ist allerdings in Teilen kritikwürdig und nicht geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen. Er sollte deshalb überarbeitet werden.
- Zu begrüßen ist, dass der xJustiz-Standard als Regelfall der Übermittlung von Behördenakten in den Blick genommen wird.
- Anstelle der in § 2 Abs. 1 und § 2 Abs. 4 DiskE geplanten „Soll-Regelung“ sollte nach Ablauf einer in § 5 festzulegenden Übergangsfrist eine gesetzliche Verpflichtung der Träger zum xJustiz-konformen Versand geschaffen werden (dazu II.).
- In § 2 Abs. 2 DiskE sollten alle sicheren Übermittlungswege für die Übersendung der elektronischen Behördenakten zugelassen werden (dazu III.).
- § 2 Abs. 3 DiskE sollte überdacht werden (dazu IV.).
- § 3 Abs. 1 und 3 DiskE sollten überdacht werden (dazu V).
- § 3 Abs. 2 DiskE sollte gestrichen werden (dazu VII.).
II. § 2 Abs. 1 und 4 DiskE
Es ist zu begrüßen, dass die Übersendung elektronischer Behördenakten im xJustiz-Format angestrebt wird. Der xJustiz-Standard ist unter Beweisgesichtspunkten einschließlich dem Grundsatz der Formattreue optimal, weil so die Behörde die Verwaltungsakte als elektronisches „Original“ elektronisch übermittelt. Er ist auch im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts der immer noch verbreiteten Übersendung von zusammengestellten PDF-Dokumenten (sog. Repräsentat) deutlich überlegen und daher unbedingt politisch anzustreben.
Der DSGT weist insoweit ergänzend darauf hin, dass die Vorlage der Behördenakten nicht nur das gerichtliche Verfahren betrifft, sondern gleichermaßen auch das Verwaltungs- und das Widerspruchsverfahren. Hier sind daher in gleicher Weise die Verfahrensrechte der Beteiligten bei der Akteneinsicht zu beachten. Es ist im Übrigen darauf hinzuwirken, dass die Behördenakten in ihrem Originalzustand auch für die Verfahrensbeteiligten und ihre Bevollmächtigten darstellbar sind.
Zur Erreichung der vorgenannten Ziele genügt die Formulierung von § 2 Abs. 1 und 4 DiskE als „Soll-Vorschrift“ allerdings nicht.
a) Hinsichtlich des in § 2 Abs. 1 DiskE geregelten „Ob“ der elektronischen Übersendung gilt dies schon deshalb, weil nach § 99 VwGO und § 89 FGO die Behörden „zur Vorlage von […] Akten“ verpflichtet sind. Diese Vorlagepflicht bezieht sich nach allgemeiner Meinung auf das jeweilige Format der Aktenführung; elektronische Akten sind deshalb elektronisch vorzulegen, Papierakten in Papierform (vgl. bspw. Gädeke in: jurisPK-ERV, § 99 VwGO Rn. 20 f.). In der Sozialgerichtsbarkeit genügt zwar zunächst die Übersendung einer Abschrift. Das Gericht kann aber – inhaltlich der Regelung des § 99 VwGO entsprechend – auch das Original der Akte verlangen. Insofern gilt – wie stets im (elektronischen) Beweisrecht – der „Grundsatz der Formattreue“ (vgl. Müller, NZS 2014, 929; ders. ASR 2022, 59; ders. in jurisPK-ERV, § 118 SGG Rn. 66 ff.; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42). Vorzulegen ist (nicht: „soll“, wie in § 2 Abs. 1 vorgesehen) deshalb stets das (elektronische) Original, sofern die Akten elektronisch geführt werden (andernfalls das Papier-Original). Ein „Original“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat. Insofern erscheint auch zweifelhaft, ob die im Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz (BR-Drs. 126/24) vorgesehene Ermächtigung des Verordnungsgebers, „die Übermittlung elektronischer Akten zwischen Behörden und Gerichten geltenden Standards [zu] bestimmen“ (u.a. in § 65b Abs. 7 SGG-E) den Verordnungsgeber dazu befugt, die Behörde teilweise von der vorbeschriebenen Verpflichtung zur Formattreue zu entbinden.
b) Hinsichtlich der in § 2 Abs. 4 DiskE geregelten Beifügung einer XML-Datei im xJustiz-Format ist nach den Erfahrungen mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs eine bloße „Soll-Vorgabe“ nicht geeignet, einen Standard einzuführen. Dies gilt für das xJustiz-Format als Datenaustauschformat umso mehr, weil die (elektronischen) Behördenakten in behördlichen Fachverfahren geführt werden, die von vielen Behörden bereits beschafft, jedenfalls aber ausgeschrieben sind, ferner es zahlreiche Softwarehersteller gibt, die im Behördenumfeld eAkten-Lösungen anbieten. Die wenigsten bestehenden Software-Lösungen bieten bereits heute einen Export im xJustiz-Format an. Entsprechend aufwendig dürfte die technische Umsetzung sein, weil sie von vertraglichen und beschaffungsrechtlichen Vorgaben abhängig ist. Mindestens wird die Umsetzung für die einzelne Behörde aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein. Die Bereitschaft der Behörden, eine entsprechende Änderung vorzunehmen bzw. diese zeitlich zu priorisieren dürfte deshalb bereits aus fiskalischen Gründen gering sein.
Der DSGT sieht es deshalb zur reibungslosen Einführung eines ausschließlich digitalen Gerichtsverfahrens ab dem 1.1.2026 als dringend vorzugswürdig an, nach Ablauf einer bereits jetzt festzulegenden Übergangsfrist eine gesetzliche Verpflichtung der Träger zum xJustiz-konformen Versand zu schaffen. Dies bietet die notwendige rechtliche Grundlage dafür, dass die Träger intern den Transformationsprozess ihres Aktenversands priorisieren und die erforderlichen Ressourcen zeitnah hierfür zur Verfügung stellen können. Eine bloße „Soll“-Vorschrift wie sie im aktuellen DiskE in § 2 Abs. 1 und 4 vorgesehen ist, bietet den Leitungsverantwortlichen innerhalb der Träger keine hinreichende Rechtfertigung hierfür und ist daher nicht geeignet, den bundesweiten Transformationsprozess zeitnah flächendeckend umzusetzen. Den notwendigen Anpassungsprozessen kann durch eine angemessene Umsetzungsfrist Rechnung getragen werden.
Die Träger der Sozialversicherung sollten innerhalb einer Frist von zwei bis vier Jahren in der Lage sein, einen xJustiz-konformen Aktenversand einzurichten, zumal einzelne Verbünde wohl bereits entsprechende Lösungen entwickelt haben, die mangels gesetzlicher Verpflichtung aber noch nicht implementiert worden sind. Im kommunalen Bereich ist mit dem von der Bund-Länder-Kommission bereitgestellten Mapping der Metadaten von XDOMEA auf xJustiz die Implementierung des elektronischen Aktenversands wesentlich erleichtert worden und sollte ebenfalls innerhalb einer Frist von zwei bis vier Jahren umzusetzen sein.
Um den gewünschten Standard zu etablieren, ist deshalb die Normierung einer „Muss-Vorschrift“ unabdingbar.
c) Im Übrigen sollten die Vorgaben in § 2 Abs. 4 S. 2 DiskE überdacht werden. Der xJustiz-Standard ist dynamisch und wird üblicherweise jährlich angepasst. Es ist deshalb fraglich, ob es sinnvoll ist, verordnungsseitig Mindestangaben zu definieren, die unter Umständen im Vergleich zu den im xJustiz-Datensatz verwendeten Termini unterschiedlich sind bzw. werden können. Geeigneter wäre, es dem xJustiz-Datensatz zu überlassen, „Kann“-, „Soll“- und „Muss“-Vorgaben zu definieren. Bei einer Beibehaltung der Mindestangaben sollten diese um die Dokumentenklasse der Dokumente und die Anzeigenamen der Dokumente – sofern im e-Aktensystem vorhanden – ergänzt werden. Ohne diese Angaben sind Ordnungs- und Suchfunktionen nur sehr eingeschränkt nutzbar.
III. § 2 Abs. 2 DiskE
Die Regelung entspricht den gesetzlichen Vorgaben in § 104 S. 5 und 6 SGG, die elektronischen Verwaltungsakten zu übersenden und erscheint zweckmäßig. Die bloße Bereitstellung zum Abruf (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 1 SGG) wäre nicht praktikabel, weil die abgeschirmten Justiznetze nicht selten einen externen Download gar nicht zulassen und sich die Posteingangsstellen der Gerichte dann mit zahlreichen unterschiedlichen Portallösungen auseinandersetzen müssten.
Da sich Behörden teilweise Prozessbevollmächtigter bedienen, sollten für die Übermittlung der elektronischen Verwaltungsakten sämtliche der in § 130a Abs. 4 ZPO, § 46c Abs. 4 ArbGG, § 55a Abs. 4 VwGO, § 52a Abs. 4 FGO und § 65a Abs. 4 SGG geregelten sicheren Übermittlungswege zugelassen werden.
Zu beachten ist ferner, dass die Größen- und Mengenbeschränkungen (aktuell 200 MB / 1.000 Einzeldateien) heute teilweise schon zu gering bemessen sind, um in bestimmten Rechtsgebieten, Behördenakten ohne die Notwendigkeit einer Paketierung zu übersenden. Insofern sollte überdacht werden, ob die Beibehaltung einer Größen- und Mengenbeschränkung noch zeitgemäß ist.
IV. § 2 Abs. 3 DiskE
Die Regelung sollte überdacht werden.
Elektronische Zertifikate (nicht nur die hier geregelten Signaturen, sondern auch elektronische Siegel) dienen nicht nur der Wahrung verfahrensrechtlicher Formvorschriften, sondern haben erhebliche Bedeutung für das Beweisrecht. Sie werden in den §§ 371a, 371b ZPO eingesetzt, um elektronische Dateien Urkunden gleichzustellen. Die Geltung der Regelung hätte zur Folge, dass dem Prozessgegner und dem Gericht bereits die Existenz dieser elektronischen Beweismittel nicht bekannt wäre.
Gerade diesen Zustand zu vermeiden, war die Intention hinter der Etablierung des xJustiz-Standards als Datenaustauschformat, weil unter Anwendung dieses Standards die Übersendung von unveränderten Einzeldokumenten – explizit einschließlich elektronischer Signaturen und Siegel – möglich wurde. Dieses von dem Diskussionsentwurf in § 2 Abs. 4 vorgesehene Bestreben würde durch § 2 Abs. 3 letztlich konterkariert.
Die mit der Übermittlung von elektronischen Zertifikaten und Prüfprotokollen verbundenen technischen Anforderung (Rechenleistung der Hardware, Speicherkapazitäten und Möglichkeiten der eingesetzten eAkten-Software zum Ausblenden technischer Dokumente) können durch den Einsatz entsprechend ertüchtigter Systeme erfüllt werden.
V. § 3 Abs. 1 und 3 DiskE
Die Regelungen sollten überdacht werden.
§ 3 Abs. 1 DiskE entspricht wie § 2 Abs. 3 DiskE nicht dem beweisrechtlichen Grundsatz der Formattreue. Dieser sollte nicht zugunsten einer (geringen) Verwaltungsvereinfachung aufgegeben werden. Jede Formatwandlung verringert den Beweiswert des vorgelegten elektronischen Dokuments als Augenscheinsobjekt i.S.d. § 371 ZPO, erst recht bei Verwendung elektronischer Zertifikate und im Anwendungsbereich der §§ 371a, 371b ZPO (vgl. Müller in jurisPK-ERV, § 371 ZPO Rn. 60; Trossen, jM 2024, 78; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42).
Um diese Folgen aufzufangen ist § 3 Abs. 3 DiskE unzureichend. Das Gericht kann regelmäßig bereits nicht wissen und prüfen, ob durch das Repräsentat inhaltstragende Informationen unterdrückt werden. Die Prüfung, ob dies „zu befürchten ist“, allein in die Hände der übersendenden Behörde zu legen, erscheint auch mit Blick auf den Anspruch des Prozessgegners auf ein faires Verfahren problematisch und allein durch Gründe der technischen Vereinfachung nicht gerechtfertigt. Schließlich kann § 3 Abs. 3 DiskE im Einzelfall zu Verfahrensverzögerungen und unnötiger (doppelter) Speicherplatzbelegung führen, wenn zunächst das Repräsentat und (erst) auf Anforderung das Original vorgelegt werden.
Sofern an den Regelungen festgehalten wird, sollte in § 3 Abs. 1 ergänzt werden, dass die in den elektronischen Akte enthaltenen Dokumente als Einzeldateien zu übersenden sind. Elektronische Verwaltungsakten werden regelmäßig in Form von Einzeldokumenten geführt und sollten nur in dieser Form an die Gerichte übermittelt werden dürfen. Gesamt-PDF-Dateien sind für die inhaltliche Erschließung der elektronischen Akte regelmäßig ungeeignet.
VI. § 3 Abs. 2 DiskE
Die Regelung erscheint nicht praktikabel und sollte gestrichen werden.
Die Möglichkeit für einzelne Spruchkörper technische Vorgaben zu machen, überfordert nicht nur diese selbst, sondern erst recht die Behörden, die hierdurch gezwungen sein können, zahlreiche unterschiedliche Vorgaben für unterschiedliche Gerichte zu erfüllen. Dies erscheint technisch und fiskalisch unverhältnismäßig und widerspricht der mit der Verordnung angestrebten (und nach der gesetzlichen Ermächtigung anzustrebenden) Standardisierung.
VII. § 4 DiskE
Die Regelung ist nicht zu beanstanden.
VIII. § 5 DiskE
Sollte dem Vorschlag gefolgt werden, § 2 Abs. 4 DiskE als „Muss-Vorschrift“ auszugestalten (dazu oben I.), sollte den Behörden eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt werden. Unter Beachtung entsprechender Entwicklungszyklen und Beschaffungsvorgaben erscheint insofern eine Übergangsfrist von zwei bis vier Jahren zumutbar.
Kassel, 21. Juni 2024
Michael Löher
Vizepräsident des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.