Stellungnahme zum Referentenentwurf der Bundesregierung für ein 3. Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung
Sehr geehrte Frau Fligge-Hoffjann,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. (DSGT) legt folgende Stellungnahme lediglich zu einer ausgewählten Vorschrift des o.g. Referentenentwurfs vor. Diese Beschränkung ist der extremen Eilbedürftigkeit geschuldet. Der DSGT bedauert, erneut nicht in das förmliche Anhörungsverfahren t einbezogen worden zu sein und bittet dringend darum, ihn zukünftig bei Gesetzgebungsverfahren zu Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe und der Kindertagesbetreuung zu berücksichtigen.
Der dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bekannte Verband verfügt seit Jahren über eine fachlich breit aufgestellte Kommission, die sich mit diesen Themen intensiv mit hoher, auch praktischer Expertise, befasst. Auch die vorliegende Stellungnahme greift auf erhebliche Expertise und Erfahrungen in diesem Bereich zurück.
Unsere Stellungnahme beschränkt sich auf Art. 3 Nr. 2 – § 2 des Referentenentwurfs [Änderung des KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetzes].
In § 2 KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz-RefE wird die notwendige Teilhabe in der Kindertagesbetreuung als Handlungsfeld aufgegriffen. So ist in Absatz 1 „[…] ein bedarfsgerechtes Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot in der Kindertagesbetreuung [zu] schaffen, welches auf einer datenbasierten, rechtzeitigen und kontinuierlichen Bedarfsplanung beruht und insbesondere die Ermöglichung einer inklusiven Förderung aller Kinder sowie die bedarfsgerechte Ausweitung der Öffnungszeiten umfasst…“.
Grundsätzlich begrüßen wir die in § 2 formulierte Zielsetzung als richtigen Schritt in Richtung Inklusion.
Um dieses Ziel verwirklichen zu können, sind allerdings die Voraussetzungen der Inklusion und die Möglichkeiten im Rahmen eines notwendigen Nachteilsausgleichs zu definieren. I‑Kitas müssen im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens die Anzahl der zu betreuenden Kinder mit Behinderung festsetzen. Alle über diese Zahl hinausgehenden Kinder mit Behinderung, die sich in der Regelbetreuung befinden, haben nicht den „I‑Status“. Eine entsprechende Unterstützung im Rahmen des Nachteilsausgleichs wird dadurch erschwert.[1]
Das Ineinandergreifen verschiedener Zuständigkeiten – insbesondere nach dem SGB VIII und SGB IX – stellt alle Beteiligten darüber hinaus vor weitere Hürden. Unabdingbar zu berücksichtigen ist, dass jede Behinderung individuell ist und einer zielgerichteten Unterstützung bedarf; so sieht es die inklusive richtigerweise Zielsetzung vor. Um dies aber zu erreichen, sind Kriterien zur Unterstützung aufzustellen, u.a. anhand etwa folgender Fragestellungen:
- Wann wird ein Einzelfallhelfer eingesetzt?
- Ab welchem Betreuungsumfang gibt es im Rahmen des Nachteilsausgleichs Unterstützung?
- Was ist, wenn kein anerkannter Grad der Behinderung vorliegt, dennoch ein besonderer Unterstützungsbedarf erkennbar ist?
Diese Fragen müssten u.E. aus dem beabsichtigten Gesetz heraus beantwortet werden und dürften nicht offenbleiben.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf das kürzlich in Kraft getretene Kinder- und Jugendgesetz des Landes Brandenburg, in dem in dem Kapitel „Inklusion“ von Regelungen zu den I-Kitas abgesehen und die Thematik bei den örtlichen Trägern der Sozialhilfe verankert wurde mit dem Ergebnis, dass der notwendige Nachteilsausgleich den Verfahrensgrundsätzen des SGB IX Teil 2 unterliegt. Das dürfte im Widerspruch stehen zur UN-BRK. Ein 3. Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und der hier thematisierten Teilhabe in der Kindertagesbetreuung sollte deshalb klar und UN-BRK-gerecht regeln, dass die inklusive Kindertagesbetreuung nicht Gegenstand der Sozialhilfe ist. Für weitere Landesgesetzgebungen wäre dies von maßgeblicher Bedeutung.
Wir würden es also sehr begrüßen, wenn das in Art. 3 Nr. 2 – KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz-RefE aufgegriffene Handlungsfeld den Inklusionsgedanken noch stärker und präziser fokussieren würde.
An weiteren Diskussionen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beteiligen wir uns gern.
Kassel, 31. Juli 2024
Michael Löher
Vizepräsident des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.
[1] Hinweise angelehnt an den Erlass des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen vom 10.02.1992 des Landes Brandenburg i. V. m. dem Schreiben vom 02.09.1997.