Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zu Neuregelungen zur Umsetzung von rentenpolitischen Maßnahmen der Wachstumsinitiative

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. (DSGT) bedanke ich mich für die Möglichkeit, zur oben genannten Formulierungshilfe Stellung zu nehmen.

I. Zusammenfassung
Der DSGT begrüßt das Ziel der Formulierungshilfe, für mehr Beschäftigung zu sorgen. Aus seiner Sicht sollte dieses Ziel aber bei einzelnen Maßnahmen besser gegen Risiken und die solide Finanzierung der Sozialversicherungen abgewogen werden. Denn die Maßnahmen vergrößern den Finanzbedarf, da die Einnahmen gesenkt und teilweise auch die Ausgaben erhöht werden. Zu bedenken möchte der DSGT auch geben, dass allgemein Wirtschaftsförderung Aufgabe des Bundes und nicht der Sozialversicherungen ist. Kritisch ist auch, dass in der Formulierungshilfe nichts zu den Kosten und der kurz- und mittelfristigen Gegenfinanzierung angegeben wurde. Auch die Lockerung des Befristungsrechts jenseits der Regelaltersgrenze sieht der DSGT kritisch.

II. Bewertung einzelner Maßnahmen

1. Auszahlung Arbeitgeberbeiträge
Neuregelung: Durch Ergänzungen der §§ 346 SGB III und 172 SGB VI wird eine synchron anzuwendende Regelung geschaffen, nach der die Arbeitgeber die sogenannten isolierten Arbeitgeberbeiträge von versicherungsfreien Beschäftigten vollständig an die betreffenden Beschäftigten auszahlen können. Die Zahlung ist analog dem isolierten Arbeitgeberbeitrag steuer- und beitragsfrei.

Bewertung:
Der DSGT sieht die vorgesehene Regelung kritisch. Zwar ist die Weitergabe der isolierten Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung bei versicherungsfreien Beschäftigten jenseits der Regelaltersgrenze für die Beschäftigten unstrittig attraktiv, da hieraus andernfalls keine Sozialleistungen erwachsen würden und die Neuregelung vorsieht, diese steuer- und beitragsfrei auszuzahlen. Bei Durchschnittslohn sind dies immerhin rund 400 Euro mehr Nettoeinkommen.

Allerdings bezweifelt der DSGT, dass dadurch tatsächlich ein relevanter Beschäftigungseffekt erzielt werden kann. Denn die LIDA-Studie (arbeit.uni-wuppertal.de/de/) zeigt, dass vor allem andere als finanzielle Gründe für den Erwerbsaustritt bzw. einen längeren Verbleib für die Beschäftigten ausschlaggebend ist. Genannt werden für das Ende des Erwerbslebens der Wunsch nach mehr Freizeit, schlechter Gesundheit und Arbeitsbedingungen und zum Verbleib vor allem mehr Selbstbestimmung und Spaß an der Arbeit.

Diesem potentiell geringen Anreizeffekt stehen jedoch erhebliche Mindereinnahmen bei der Arbeitslosen- und Rentenversicherung gegenüber. Die Formulierungshilfe macht hierbei aber keine Angaben, wie diese Mindereinnahmen gegenfinanziert werden sollen. Besonders scharf kritisiert der DSGT dies vor dem Hintergrund der bereits von der Bundesregierung beschlossenen Kürzungen der Zuschüsse zur Rentenversicherung um mehrere Milliarden Euro. Eine solide und verlässliche Finanzierung der Sozialversicherung ist für das Vertrauen in den Sozialstaat unerlässlich – dies gilt erstrecht in Zeiten des demographischen Wandels und einem möglicherweise aufkommenden Wirtschaftsabschwung, was den Finanzierungsbedarf in beiden Sozialversicherungen kurzfristig erhöhen würde.

Der DSGT möchte auch darauf hinweisen, dass von der Regelung nur Personen profitieren können, die nach der Regelaltersgrenze einer mehr als geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgehen. Damit sind alle mit einer angeschlagenen Gesundheit oder einen solchen Arbeitsplatz davon ausgenommen, werden aber über in der Folge drohende Beitragssatzerhöhungen sehr wohl an der Finanzierung beteiligt. Auch aus diesem Grund sieht der DSGT die Regelung kritisch.

2. Rentenaufschubprämie
Die Formulierungshilfe will mit der Rentenaufschubprämie eine neue Leistungsform einführen. Die Prämie soll bekommen, wer den Rentenbeginn über die Regelaltersgrenze hinaus für mindestens 12 aber höchstens 36 Monate aufschiebt. Die Höhe der Prämie entspricht dabei rechnerisch der in diesem Zeitraum nicht gezahlten Rente. Die Prämie ist dabei beitragsfrei, aber steuerpflichtig.

Bewertung:
Der DSGT bewertet die Rentenaufschubprämie sehr kritisch. Sie führt zu erheblichen Mehrausgaben bei der Rentenversicherung und Mindereinnahmen bei den Kranken- und Pflegeversicherungen. Auch begünstigt sie die Ungleichheit, da der Rentenaufschub faktisch mit einer nachträglichen Einmalzahlung ausgeglichen wird, diese aber entgegen dem eigentlichen Rentenbezug beitragsfrei wäre. Mehr noch wird auch der Zuschuss zur KVdR an die Berechtigten ausgezahlt. Damit haben Personen, die sich einen Rentenaufschub leisten können, einen erheblichen Vorteil gegenüber den anderen Versicherten. Gleichzeitig führt dies kurzfristig zu erheblichen Mehrausgaben der Rentenversicherung, da die Prämie als Einmalzahlung sofort ausgezahlt wird, statt über den gesamten Rentenbezug eine höhere Rente – damit ergibt sich ein Vorfinanzierungseffekt, aber aufgrund der Prämienberechnung wohl auch dauerhafte Mehrausgaben. Aufgrund der Beitragsfreiheit entgehen den Kranken- und Pflegeversicherungen außerdem entsprechende Einnahmen. Auch hierzu macht die Formulierungshilfe keine Angaben. Damit vergrößert auch diese Maßnahme den Finanzierungsbedarf in den Sozialversicherungen und führt zu einem potenziell höheren Beitragssatz oder aber zu Leistungskürzungen. Auch hier ist fraglich, ob dies tatsächlich zu mehr Beschäftigung führt, oder aber nur zu Mitnahmeeffekten von allen, die heute schon den Rentenbeginn aufgeschoben haben.

3. Zusätzlicher Erwerbsfreibetrag bei Witwen-/Witwerrenten
Bei Erwerbseinkommen soll es einen zusätzlichen Abzug in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze von aktuell 538 Euro geben. Generell wird auf Witwen- und Witwerrenten Einkommen angerechnet. Dabei gilt ein pauschaliertes Nettoverfahren – je nachdem ob Steuern und zu welchen Sozialversicherungen Beiträge entrichtet werden müssen, werden pauschal bis zu 40 Prozent des Einkommens abgezogen. Außerdem gibt es einen Freibetrag vom 26,4fachen des aktuellen Rentenwerts: Aktuell etwa 1040 Euro im Monat. Von dem pauschalierten Netto über diesem Freibetrag werden nur 40 Prozent angerechnet. Der zusätzliche Freibetrag für Erwerbseinkommen wird vorab, also vor dem geschilderten Verfahren vom Erwerbseinkommen abgezogen und das bisherige Verfahren nur auf das so verbliebene Einkommen angerechnet.

Bewertung:
Der DSGT bewertet den zusätzlichen Freibetrag für Erwerbseinkommen bei der Einkommensanrechnung auf Witwen-/Witwerrenten positiv. Dies führt zu einer höheren Witwen-/Witwerrente von bis zu 215 Euro. Vor allem Personen, die eine Altersrente neben der Witwen-/Witwerrente beziehen dürften von der Neuregelung profitieren, da nunmehr ein geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis nicht mehr angerechnet würde bzw. bei höherem Erwerbseinkommen nur der Teil über der 538 Euro Geringfügigkeitsgrenze. Die Maßnahme erhöht jedoch die Rentenausgaben erheblich, so dass die Finanzierungsfragen weiter verengt werden. Sie führt aufgrund der höheren Rentenzahlung jedoch zu Mehreinnahmen bei der Kranken- und Pflegeversicherung.

Auch hier gilt: die Wirkung ist hoch selektiv, da sie nur von Personen beansprucht werden kann, die sich einen Rentenaufschub finanziell leisten können und nebenbei ein versicherungspflichtiges Erwerbseinkommen haben.

4. Kein Vorbeschäftigungsverbot bei Befristungen über der Regelaltersgrenze
Künftig soll eine auch sachgrundlose Befristung von bis zu acht Jahren bei maximal 12 Befristungen jenseits der Regelaltersgrenze auch im Anschluss an eine bestehende auch unbefristete Beschäftigung zulässig sein.

Bewertung:
Der DSGT sieht die Aufweichung des Befristungsverbots jenseits der Regelaltersgrenze kritisch, da so faktisch ein Arbeitsrecht zweiter Klasse für ältere Beschäftigte geschaffen wird. Vertiefend geht der DSGT aber nicht darauf ein, da er Fragen des Arbeits- und Befristungsrechts nicht zu seinen primären Aufgaben zählt.

III. Abschließende Betrachtung
Die vorgesehen Maßnahmen – mit Ausnahme der Befristung – führen vor allem bei der Rentenversicherung zu einer deutlichen Finanzierungslücke, da sowohl die Ausgaben erhöht als auch die Einnahmen gemindert werden. Aber auch bei der Kranken- und Pflege- sowie Arbeitslosenversicherung dürfte die Neuregelung in der Summe eine große Finanzierungslücke erzeugen. Dies erscheint gesamtgesellschaftlich problematisch. Einerseits wird die damit verbundene Förderung von Arbeit jenseits der Regelaltersgrenze von der Teilgruppe der Sozialversicherten finanziert und nicht von der Allgemeinheit der Steuerzahlenden. Damit verbunden ist auch, dass untere und mittlere Einkommen überdurchschnittlich an der Finanzierung beteiligt werden. Gleichzeitig sind Personen mit einer angeschlagenen Gesundheit oder die am Arbeitsmarkt nicht gesucht sind von den Vorteilen weitgehend ausgenommen, da es in all diesen Frage die freie Entscheidung der Arbeitgebenden ist, wen und zu welchen Bedingungen sie nach der Regelaltersgrenze beschäftigten. Auch ist es aus Sicht des DSGT (eigentlich) Aufgabe der Unternehmen durch entsprechende Bezahlung und Arbeitsbedingungen Fachkräfte zu gewinnen und nicht durch einen Griff in die Sozialversicherungen.

Michael Löher
Vizepräsident des Deutschen Sozialgerichtstages e.V.