Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt (GewHG-E)

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. (DSGT) dankt für die Gelegenheit, sich im Rahmen der Anhörung zum Gesetzesvorhaben zu beteiligen. Die kurze Frist für eine Stellungnahme ermöglicht es leider nur, einen kursorischen Blick auf den Entwurf zu werfen. 

Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf zu begrüßen, da u.a. die Umsetzung der Istanbul Konvention und die nachhaltige Finanzierung von Schutz Betroffener von Gewalt unerlässlich sind. Allein wäre aus der Sicht des DSGT eine Integration der geplanten Regelungen in das SGB XIV geboten gewesen, um die Schaffung von doppelten Regelungsstrukturen zu vermeiden. Der Entwurf regelt nämlich vom Ansatz her nach unserer Auffassung besondere Fälle des Sozialen Entschädigungsrechts, welches sich nunmehr systematisch im SGB XIV wiederfindet.

Im Einzelnen möchten wir auf die folgenden Umstände hinweisen: 

Der Gewaltbegriff in § 2 Abs. 1 bis 3 GewHG-E orientiert sich nicht an der Definition für Opfer von Gewalttaten in § 13 SGB XIV. Er ist teilweise enger, da besondere Formen der Gewalt erfasst werden. Aus Sicht des DSGT wäre es sinnvoll, eine einheitliche Regelung für alle Opfer von Gewalt zu finden, welchen dann gewaltfreie Räume sowie die hier geregelten Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden. Weiterhin findet sich das Erfordernis einer gegenwärtigen Gewaltgefährdung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 GewHG-E als Leistungsvoraussetzung. Mit dieser Anforderung dürfte der Zugang unnötig erschwert sein, da der Nachweis des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefährdung für viele Betroffene nicht leicht sein wird.

Zwar werden die Regelungen im SGB XIV nach § 9 Abs. 4 GewHG-E nicht berührt. Dabei sollte jedoch auf mögliche Doppelungen geachtet werden. In den §§ 39 und 40 SGB XIV sind bereits Regelungen zu Kooperationsvereinbarungen für Beratungs- und Begleitangebote vorgesehen. Diese Möglichkeiten wurden bislang jedoch nicht vollumfänglich ausgeschöpft und eine Verordnung im Sinne des § 40 SGB XIV wurde bisher nicht erlassen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Regelungen künftig stärker genutzt werden. Der Gesetzentwurf könnte hier möglicherweise eine neue Dynamik anstoßen.

Die Schnittstellenregelung in § 9 Abs. 2 GewHG-E wird in der späteren Praxis zu Anwendungsproblemen führen, da eine weitere Konkretisierung des Tatbestandes geboten ist. Das alleinige Abstellen auf die Vergleichbarkeit führt zu einer Rechtsunsicherheit in der Leistungsgewährung. Es muss vermieden werden, dass den Betroffenen aufgrund von Zuständigkeitsfragen der Zugang erschwert wird.

Im Rahmen der Statistik gemäß § 10 GewHG-E sehen wir die Festlegung der Erhebungsmerkmale kritisch. Hier wird der Aufwand für die jährlichen Erhebungen durch die Einrichtungen im Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt und die geschätzten Kosten scheinen für den Erfüllungsaufwand deutlich zu niedrig angesetzt zu sein.

Schließlich vernachlässigt der Gesetzentwurf den Blick auf besonders vulnerable Gruppen. Zwar wird richtigerweise betont, dass die Bedarfe von betroffenen Männern sowie trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Hilfesystem häufig unzureichend berücksichtigt werden. Doch gleichermaßen gilt dies für andere besonders schutzbedürftige Gruppen, wie etwa Frauen mit Behinderungen. Warum diese nicht ausdrücklich als Zielgruppe des Gesetzentwurfs adressiert werden, ist nicht nachvollziehbar. Es wäre erforderlich, hier eine klarere Fokussierung vorzunehmen und sicherzustellen, dass der Gesetzentwurf besondere Schutzbedarfe angemessen berücksichtigt. Dies betrifft beispielsweise auch Menschen ohne gesicherten Aufenthalt in Deutschland. Ein möglicher Ansatz könnte darin bestehen, die Wohnsitzauflage im Aufenthaltsrecht für Gewaltbetroffene aufzuheben, um ihnen effektiveren Schutz und größere Handlungsfreiheit zu gewähren.

Kassel, 21.11.2024

Michael Löher

Präsident des Deutschen Sozialgerichtstages