Stellungnahme des DSGT zum Vorhaben der Einführung einer Kindergrundsicherung

Zusammenfassende Empfehlungen:

Ein neues System der Kindergrundsicherung sollte aus Sicht des DGST folgende Kriterien erfüllen.

  1.  Die Kinder selbst sollten Anspruchsinhaber sein, und zwar auch schon vor der Volljährigkeit, da ihnen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums individuell zusteht.
  2.  Die Kindergrundsicherung sollte sich aus einem festen Garantiebetrag und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag zusammensetzten.
  3. Der einkommensunabhängige Grundbetrag analog dem jeweiligen Kindergeld sollte für jedes Kind gleich bemessen sein. Da mit dieser Leistung das Kindergeld abgelöst wird, sollte es analog den bisherigen Regeln bis zum 25. Lebensjahr bezogen werden können.
  4. Der bedarfsorientierte Zusatzbetrag sollte auch die KdU-Leistungen -möglichst als Pauschale- umfassen und so einen parallelen Wohngeldbezug des Kindes entbehrlich machen.  
  5. Generell sollte man, soweit Leistungssysteme nicht zusammengeführt werden, eine Harmonisierung der verschiedenen Leistungssysteme untereinander und mit den unterhaltrechtlichen Vorschriften anstreben. Dies beinhaltet z.B., dass man die Strukturänderungen zum Anlass nehmen sollte, auch im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von einer horizontalen zu einer vertikalen Bedarfsberechnungsmethode -wie im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt- überzugehen.
  6. Die Kindergrundsicherung sollte eine möglichst umfassende Gewährleistungsfunktion für den Kinderbedarf übernehmen und daher grundsätzlich, soweit der Bedarf nicht durch ein anderes Leistungssystem wie BAföG und die Berufsausbildungsbeihilfe abgedeckt wird, alle Leistungen zur Bildung und Teilhabe umfassen. Wie auch immer die gesetzgeberische Ausgestaltung im Detail aussehen wird, bedarf es gleichwohl eines Sicherheitsnetzes in Form nachrangiger Ansprüche in den Existenzsicherungssystemen, um sicherzustellen, dass der existenzsichernde Bedarf stets und in jedem Einzelfall gedeckt ist.
  7. Für alle Bestandteile der Kindergrundsicherung sollte es einen einheitlichen Rechtsweg zu den Sozialgerichten geben.
  8. Den Jobcentern (JC) und Sozialämtern sollte ferner weiterhin eine ganzheitliche Betreuung von Familien ermöglicht werden, unabhängig davon, bei welchem Träger die Kindergrundsicherung angesiedelt wird.
  9. Ein einheitlicher Antrag auf existenzsichernde Leistungen einer Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft, egal bei welchem Leistungsträger, sollte ausreichend für alle Leistungen einschließlich der Kindergrundsicherung sein.
  10. Für die notwendige Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungsträger unter Einbeziehung der Kinder und Jugendhilfe ist ein verbindlicher Rechtsrahmen vorzusehen, der sicherstellt, dass alle Leistungen für erforderliche Bedarfe einschließlich Bildung, sozialer Teilhabe und besonderer Förderbedarfe tatsächlich erbracht werden.

A. Ausgangslage und allgemeine Zielstellung der Konzepte zur Kindergrundsicherung

Das gegenwärtige System monetärer Leistungen für Familien und Kinder steht seit vielen Jahren v.a. hinsichtlich der Vielzahl nebeneinander bestehender Leistungen und Systeme sowie der Wirksamkeit bzw. Zielgenauigkeit der Leistungen in der Kritik.

Existenzsichernde Leistungen für Kinder und Jugendliche werden unter anderem im Rahmen folgender Leistungen bzw. Leistungsgesetze erbracht:

  • SGB II
  • SGB III[1]
  • SGB XII
  • Kindergeld
  • Kinderzuschlag
  • Wohngeld
  • BAföG
  • im Rahmen familienrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen des BGB
  • Waisenrente
  • Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz 

Über den Bereich existenzsichernder Leistungen hinaus werden insbesondere Leistungen für Bildung und Teilhabe durch das SGB II, SGB XII, BAföG, die Schulgesetze der Länder, soweit z.B. ganz oder teilweise Lehrmittelfreiheit vorgesehen ist, erbracht. Derartige Bedarfe sind auch Gegenstand familienrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen. Unterhaltsverpflichtungen werden ferner steuerrechtlich durch besondere Freibeträge berücksichtigt. Weitere Leistungen für Kinder werden durch die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) erbracht.

Gerade bei der Anwendung des SGB II sind in der Vergangenheit vielfältige Abgrenzungsprobleme zu Tage getreten, die auch darauf beruhen, dass den unterschiedlichen Leistungsgesetzen bzw. gesetzlichen Regelungen unterschiedliche Ordnungsprinzipien und Anspruchsvorrausetzungen zugrunde liegen, die bei der konkreten Leistungsberechnung zusammengeführt werden müssen (siehe Anhang). Auch außerhalb des SGB II bestehen erhebliche Schnittstellenprobleme, die sich mit der Einführung einer Kindergrundsicherung jedoch nicht einfach auflösen, sondern denen auch (in jedem Modell) einer Kindergrundsicherung Rechnung zu tragen ist. Zu den umfangreichen Schnittstellenproblemen kann auf die Studie „Rechtliche Schnittstellen bei der Einführung einer Kindergrundsicherung“ aus dem Jahr 2020[2] verwiesen werden. Die Unübersichtlichkeit der Leistungssysteme führt zudem dazu, dass erforderliche Leistungen nicht in vollem Umfang von den Leistungsberechtigten in Anspruch genommen werden.[3]

Die o.g. Studie zu den Schnittstellenproblemen kommt dabei hinsichtlich der Perspektiven eines eigenständigen Leistungssystems zu folgendem Fazit: „Unabhängig davon, wie sie genau ausgestaltet wird, kann eine Kindergrundsicherung, die einige zentrale familienbezogene Maßnahmen bündelt, sinnvoll sein, um für eine zielgerichtetere Verwendung der eingesetzten Mittel zu sorgen. Erforderlich ist dafür ein Umbau des Gesamtsystems familienbezogener Regelungen, bei dem die einzelnen Instrumente folgerichtig aufeinander abgestimmt werden. Als originärer Anspruch des Kindes kann eine Kindergrundsicherung insbesondere dazu beitragen, eine Abhängigkeit der Kinder von Leistungen der sozialen Fürsorgesysteme des SGB II und SGB XII zu vermeiden. Als Leistung „aus einer Hand“ kann sie zudem bestehende Zugangsschwellen senken und Vereinfachungen im Verwaltungsverfahren bewirken. Nach den dafür vorliegenden Modellen soll die Kindergrundsicherung eine einkommensabhängige Leistung darstellen.“ 

Angesichts der Komplexität des Zusammenspiels ganz unterschiedlicher Leistungssysteme ist jede Reduzierung dieser Komplexität zu begrüßen. In diesem Sinne soll eine zukünftige Kindergrundsicherung nach den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und den bisherigen Vorüberlegungen das bisherige Kindergeld, SGB II und SGB XII für Kinder, Jugendliche und ggf. junge Erwachsene, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie den Kinderzuschlag bündeln.

Hinsichtlich der generellen Zielsetzung kann ferner auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge verwiesen werden, der eine konsistente Gesamtstrategie fordert, die die Lebensumstände und -situationen der Familien realitätsgerecht berücksichtigt[4]. Aufgrund der vielseitigen, teils gewollten, teils nicht beabsichtigten Wechselwirkungen und Inkonsistenzen wird es dabei als notwendig erachtet, die familien- und familienmitgliederbezogenen Transferleistungen ganzheitlich zu betrachten und ein auf Transparenz und soziale Ausgewogenheit ausgerichtetes Gesamtkonzept der Kinder- und Familienförderung zu entwickeln. Gefordert wird weiterhin, Familienpolitik als Querschnittsthema zu begreifen, das Politikfelder wie die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Gleichstellungs-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- sowie Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik als auch Strukturpolitik in ländlichen Räumen umfasst. Die Entwicklung eines Gesamtkonzepts familien- und familienmitgliederbezogener Unterstützungsleistungen wird daher zu Recht als eine umfassende und anspruchsvolle Aufgabe charakterisiert. 

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich im Hinblick auf bedürftige Kinder und Jugendliche deswegen, weil mit einer Kindergrundsicherung unterschiedliche Ziele verfolgt werden, die miteinander nur schwer zu vereinbaren sind. Einerseits soll eine Kindergrundsicherung einfach und unbürokratisch zu bewilligen und auszuzahlen sein. Andererseits soll sie für Kinder und Jugendliche an die Stelle von Ansprüchen nach dem SGB II/SGB XII treten. Dies würde bedeuten, dass sie die Anforderungen erfüllen muss, die auch ansonsten an ein Existenzsicherungssystem zu stellen sind, insbesondere beim Vorliegen atypischer Bedarfslagen. Der dadurch entstehende Zielkonflikt zu einem einfachen Leistungssystem mit einem möglichst digital ausgestalteten Verwaltungsverfahren – ggf. administriert durch eine Behörde, die in der Fläche nicht vertreten ist – stellt erhebliche Anforderungen an die Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung im Detail.

B. Klärungsbedürftige Regelungskomplexe:

  1. Bei einer Zusammenführung der unterschiedlichen Leistungssysteme ist u.a. zu klären, welche Leistungssysteme miteinbezogen werden, also welche Personen bis zu welchem Alter gefördert werden, wer Anspruchsinhaber sein soll, ob nicht nur Geldleistungen, sondern ggf. auch Sachleistungen erfasst werden, wie die Leistungshöhe bemessen ist und welche Bedarfe Berücksichtigung finden. Gegenstand der Regelungen ist auch das Verhältnis zu anderen Leistungssystemen, insbesondere welche Leistungen sich gegenseitig ausschließen oder anzurechnen sind und das Verhältnis zu gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen. 
  1. Verfahrensrechtlich ist u.a. weiterhin zu klären, durch welche Behörde(n) das Leistungssystem zu administrieren ist und bei welchem Gerichtszweig der Rechtschutz anzusiedeln ist. 
  1. Schließlich sind die Auswirkungen auf die bestehenden Leistungssysteme insbesondere der SGB II und XII zu berücksichtigen und welche verfahrensrechtlichen Vorkehrungen getroffen werden sollten, um eine umfassende, die gesamte Bedarfsgemeinschaft bzw. den Familienverbund erfassende, Betreuung und Bedarfsdeckung sicherzustellen.

Zu I. Zusammenführung der unterschiedlichen Leistungssysteme

1. Möglichst umfassende Bedarfsregelung

Idealerweise sollte eine Kindergrundsicherung den Bedarf umfassend regeln und auch eine Harmonisierung der sozialrechtlichen Bestimmung mit der Ausgestaltung familienrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen herbeiführen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Eine umfassende Lösung würde bedeuten, dass sowohl das BAföG und BAB-Leistungen als auch das UVG einbezogen werden. Eine solche „große“ Lösung scheint derzeit nicht beabsichtigt. Ihre Umsetzung innerhalb einer einzelnen Wahlperiode ist auch nicht realistisch. Eine zukünftige Kindergrundsicherung soll nach den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und den bisherigen Vorüberlegungen – jedenfalls in einem ersten Schritt – das bisherige Kindergeld, SGB II und SGB XII für Kinder, Jugendliche und ggf. junge Erwachsene, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie den Kinderzuschlag bündeln. Dies ist insofern nachvollziehbar, als die weiteren Leistungssysteme bisher sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, z.B. besteht das BAföG für Studierende z.T. aus einem nichtverzinslichen Darlehen. Die Einbeziehung des UVG hätte einen Eingriff in Aufgaben und Behördenstrukturen der Kommunen und der Länder zur Folge. 

Dennoch sollte zumindest eine weitere Harmonisierung der verbleibenden Leistungssysteme und künftig auch eine weitergehende Integration in ein umfassenderes System angestrebt werden.

2. Neu entstehende Schnittstellen

Der DSGT plädiert dafür, das Ziel, alle Kinder und Jugendlichen mit Hilfe der Kindergrundsicherung aus dem SGB II/SGB XII herauszuführen, nicht dogmatisch zu sehen, sondern Raum zu lassen für pragmatische Lösungen der neu entstehenden Systemschnittstellen. Es sollte ausreichend sein, wenn das Ziel, SGB II/XII für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Ausbildung abzulösen, in möglichst vielen Fällen gelingt. Dies kann erreicht werden, indem die nicht zwingend personengebundenen Bedarfe weitgehend den Eltern zugeordnet werden. Dies betrifft – neben dem Hauptteil der Unterkunftsbedarfe – auch Erstausstattungsbedarfe, die einen starken Haushaltsbezug aufweisen. Der zahlenmäßig bedeutsamste Mehrbedarf bei Kindern und Jugendlichen dürfte zudem Umgangskosten betreffen. Die Einführung einer Kindergrundsicherung sollte insoweit (endlich) zum Anlass genommen werden, einen pauschalierten Umgangsmehrbedarf zu regeln, der ggf. sogar in den Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung integriert werden kann. Je nach Kostenart können Anspruchsinhaber allerdings auch insoweit die Eltern sein, wie bislang bereits beim umgangsbedingten Wohnflächenmehrbedarf. Mehrbedarfe wegen kostenaufwändiger Ernährung könnten ggf. – jedenfalls in typisierter Form – durch die Kindergrundsicherung gedeckt werden.

3. Ausgestaltung als Anspruch des Kindes

Eine künftige Kindergrundsicherung, die bisherige Leistungen an bedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nach dem SGB II/SGB XII ersetzen soll, muss als (existenzsichernde) Sozialleistung ausgestaltet sein. Dabei folgt aus der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG), dass es durch einen gesetzlichen Leistungsanspruch in der Form eines subjektiven Rechts des Hilfebedürftigen gewährleistet sein muss. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht auch Kindern individuell zu. Sie sind individuelle Grundrechtsträger mit kinder- und altersspezifischen Bedarfen[5] Die Kinder selbst sollten Anspruchsinhaber sein, und zwar auch schon vor der Volljährigkeit. 

4. Ausgestaltung des einkommensabhängigen Zusatzbetrags

Nach den bisherigen Planungen soll die Kindergrundsicherung aus einem festen Garantiebetrag und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag bestehen. Der einkommensunabhängige Grundbetrag analog dem jeweiligen Kindergeld sollte für jedes Kind gleich bemessen sein. Da mit dieser Leistung das Kindergeld abgelöst wird, sollte es analog den bisherigen Regeln bis zum 25. Lebensjahr bezogen werden können.

Der bedarfsorientierte Zusatzbetrag sollte auch die KdU-Leistungen umfassen und so einen parallelen Wohngeldbezug des Kindes entbehrlich machen. Insoweit wäre auch die Einführung einer Pauschale zu erwägen, selbst wenn dies im Rahmen des SGB II eine Abkehr vom Kopfteilprinzip bei den KdU bedeuten würde. Das Konzept der temporären Bedarfsgemeinschaft sollte zugunsten angemessener Mehrbedarfspauschalen in der Kindergrundsicherung abgelöst werden. Ein KdU-Mehrbedarf z.B. für ein Kinderzimmer bei der Gewährleistung des Umgangsrechtes könnte über die KdU für den umgangsberechtigten Elternteil gelöst werden. Generell sollte man die Strukturänderungen zum Anlass nehmen, auch im SGB II von einer horizontalen zu einer vertikalen Bedarfsberechnungsmethode -wie im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt- überzugehen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten bzw. Anrechnung von Einkommen sollten, wie auch für das SGB II angekündigt, um Anreize im Hinblick auf die Ausweitung der Erwerbtätigkeit zu schaffen, künftig großzügiger gehandhabt werden. Für Erwerbseinkommen der Kinder wäre eine Harmonisierung mit den Zuverdienstgrenzen des BAföG und BAB zu erwägen. Eine zeitnahe Fortschreibung der Bedarfe ist dabei unabdingbar, um dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums Rechnung zu tragen. Dies umfasst u.a. ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, aber eben nicht mehr. Fraglich ist, ob dies ausreicht, allen Kindern wirklich gleiche Chancen unabhängig von der sozio-ökonomischen Situation der Herkunftsfamilie eröffnen. Dieser Befund impliziert eine politische Diskussion, wieviel der Gesellschaft alle Kinder wirklich wert sind. [6] Die Frage der Voraussetzungen sozialer Teilhabe sollte dabei nicht auf die Gewährung einer rein monetären Leistung verengt werden. Entscheidend ist, eine gute Infrastruktur zu schaffen, von der die Kinder und Jugendlichen diskriminierungsfrei und direkt profitieren. Um soziale Teilhabe zu ermöglichen, sind zudem genügend Angebote vor Ort durch Ausbau der offenen Kinder- und Jugendarbeit (Jugendclubs, Sportvereine, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien etc.) erforderlich.

Wie bereits dargelegt, spricht sich der DSGT dafür aus, dass Anspruchsinhaber für eine Kindergrundsicherung das Kind sein soll. In diesem Fall sollte das Verhältnis insbesondere zum SGB II/XII im Sinne eines Leistungsvorrangs, nicht im Sinne eines Ausschlussverhältnisses geregelt werden. Vorbild kann insoweit das derzeitige Verhältnis zwischen Bürgergeld und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sein (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Sollten sich die bisherigen Vorüberlegungen im Hinblick auf die Ausgestaltung als Elternanspruch durchsetzen, dürfte es sich bei der Kindergrundsicherung ohnehin nur um Einkommen handeln, das – eine (normative) Zurechnung zum Kind vorausgesetzt wie derzeit bei Kindergeld/Kinderzuschlag – die Hilfebedürftigkeit des Kindes ausschließt. In einem solchen Fall könnte es allerdings in einer erheblichen Anzahl von Fällen bei Ansprüchen nach dem SGB II/XII verbleiben, sollte die Kindergrundsicherung nicht als „bereites Mittel“ zur Verfügung stehen oder – je nach weiterer Ausgestaltung in Trennungskonstellationen – grundsätzlich berechtigtes Elternteil und Kind nicht in einem Haushalt leben.

5. Atypische Bedarfslagen

In jedem Fall muss Kindern und Jugendlichen, denen oder für die Kindergrundsicherung gezahlt wird, im atypischen Einzelfall die Möglichkeit zustehen , einen Härtefallmehrbedarf in den Existenzsicherungssystemen geltend machen zu können (vgl. § 21 Abs. 6 SGB II, § 30 Abs. 10 SGB XII in der ab 01 01.2023 geltenden Fassung). Ohne eine solche Auffangregelung besteht die Gefahr, dass in Einzelfällen das sozialrechtliche Existenzminimum des Kindes nicht gedeckt ist. Es darf sich nicht die Situation aus der Anfangszeit des SGB II wiederholen, dass das Fehlen einer solchen Regelung bei Einführung eines weitgehend pauschalierten Leistungssystems das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt und das Leistungssystem schon aus diesem Grund verfassungswidrig ist. In diesem Zusammenhang geregelt werden könnten zudem Ansprüche nach dem SGB II auf Leistungen zur Eingliederung für Jugendliche und junge Erwachsene. Die Einführung einer Kindergrundsicherung darf nicht dazu führen, dass die Betroffenen im Hinblick auf solche Leistungen schlechter stehen als zuvor. Sinnvoll erscheinen zudem familienzentrierte Beratungs- und Unterstützungsleistungen (ähnlich § 11, 16 SGB XII).

6. Bildungs- und Teilhabeleistungen

Als weiteres Element sind jedenfalls besondere Bildungs- und Teilhabeleistungen vorzusehen, da die Kindergrundsicherung eine möglichst umfassende Gewährleistungsfunktion für den Kinderbedarf übernehmen sollte. Umfassende Gewährleistungsfunktion bedeutet ggf. auch Gewährung von Schulbedarfen, obwohl der Schulträger an sich zuständig wäre. Ein selbständiges elternunabhängiges Antragsrecht Minderjähriger für bestimmte Leistungen im Bildungs- und Teilhabebereich sollte erwogen werden. Ebenso sollten bestehende Möglichkeiten, zusätzliche Bildungs- und Teilhabeleistungen als Sachleistung erbringen zu können, erhalten bleiben, auch um eine zweckentsprechende Verwendung der Mittel sicherzustellen. Im Hinblick auf den Verwaltungsvollzug erscheint es sinnvoll, die Bestimmung der insoweit zuständigen Stelle in jedem Fall der Regelung durch Landesrecht zu überlassen (entsprechend § 13 Abs. 4 BKGG), weil die Erbringung dieser Leistungen die genaue Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten erfordert.

Bei Volljährigkeit sollte ein Kind berechtigt sein, auszuziehen, wie auch schon jetzt im Rahmen besonderer Fördersysteme wie der Berufsausbildungsbeihilfe. Die Anrechnung von Elterneinkommen sollte sich in diesem Fall an den familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen orientieren, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.

Zu II. Verfahrensrecht

1. Rechtsweg

Für alle Bestandteile der Kindergrundsicherung muss es einen einheitlichen Rechtsweg geben. Für diese Leistungen ist bislang – mit Ausnahme des Kindergeldes – der sozialgerichtliche Rechtsweg eröffnet. Für das Kindergeld sind seit 1996 die Finanzgerichte zuständig, soweit es – was der absolute Regelfall ist – als Steuervergütung nach dem Einkommenssteuerrecht erbracht wird. Ein anderes Ergebnis wäre in einem hohen Maße bürokratisch, bürgerunfreundlich und könnte zu widersprechenden Entscheidungen z.B. im Hinblick auf einheitliche Anspruchsvoraussetzungen führen. Für eine als Sozialleistung ausgestaltete Kindergrundsicherung muss der sozialgerichtliche Rechtsweg eröffnet sein. Dass dieser Sozialleistung weitere Funktionen zukommen, etwa im Hinblick auf die steuerliche Freistellung des kindlichen Existenzminimums, ändert daran nichts. Vor den Finanzgerichten wäre eine Kindergrundsicherung ein Fremdkörper; in einem weit höheren Maße, als es bereits das Kindergeld ist. Die Finanzgerichtbarkeit ist strukturell nicht ausgelegt für den Streit um Sozialleistungen; noch dazu solche, denen eine existenzsichernde Funktion zukommt. Der Instanzenzug ist nur zweizügig. Die Finanzgerichte sind in der Fläche nicht vertreten. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Obergerichte vergleichbar den Oberverwaltungsgerichten und Landessozialgerichten. Deutschlandweit stehen derzeit 18 Finanzgerichten 68 Sozialgerichte und 14 Landessozialgerichte gegenüber.

Im Vergleich zur Finanzgerichtsordnung ist das Sozialgerichtsgesetz eine Prozessordnung, die speziell geschaffen wurde zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in einem gegliederten Sozialleistungssystem. Anders als in (allen) anderen Prozessordnungen besteht hier zum Beispiel die Möglichkeit, einen anderen tatsächlich zuständigen Leistungsträger ohne Durchführung eines weiteren Verwaltungsverfahrens zu verurteilen (§ 75 Abs. 5 SGG). Verschiedene Regelungen machen zudem den Zugang zum Gericht besonders niedrigschwellig (§ 57 Abs. 1 Satz 1 SGG; § 92 Abs. 1 SGG; § 183 SGG mit der grundsätzlichen Gerichtskostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens).

Würde die Finanzgerichtsbarkeit für eine Kindergrundsicherung zuständig werden, müssten die Finanzgerichte, an denen das Eingangsamt mit der Besoldungsstufe R 2 besoldet ist, voraussichtlich erheblich aufgestockt werden. Bislang sind an den deutschen Finanzgerichten ca. 560 Richterinnen und Richter tätig (Bundesamt für Justiz, Richterstatistik 2020). Diese haben zuletzt in Streitigkeiten des Familienleistungsausgleichs (einschließlich Kindergeld) deutschlandweit ca. 5.500 Klage- und vorläufige Rechtsschutzverfahren erledigt [7], was bezogen auf die Anzahl der Gesamteingänge der Finanzgerichte je nach Bundesland im Durchschnitt zwischen 15 und 20 % ausmachte. Demgegenüber haben die ca. 1.900 Sozialrichterinnen und Sozialrichter im Jahr 2021 allein über 105.000 Streitigkeiten aus dem SGB II erledigt.[8]

2. Behördenzuständigkeit

Während die Zuordnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten aufgrund des ganz überwiegenden Charakters einer Kindergrundsicherung als komplexer Sozialleistung naheliegt, dürfte sich die Frage, welchem Träger im Bereich der Sozialverwaltung die Leistungserbringung zuzuordnen ist, schon aus institutionellem Eigeninteresse der Träger politisch umstritten gestalten. Denkbar wäre sowohl die Zuordnung zur Kommune als auch zur Bundesagentur für Arbeit (BA), da Leistungen beider Träger durch die Grundsicherung substituiert werden. Schließlich könnte auch die Forderung erhoben werden, die Zuständigkeit der Jobcenter (JC) für Kinder in bisherige Bedarfsgemeinschaften auch im Bereich Kindergrundsicherung aufrecht zu erhalten. Die Einführung der Kindergrundsicherung kann – je nach Gestaltung – die Aufgaben der (kommunalen) JC erheblich umgestalten. Insoweit kann angeführt werden, dass eine Aufgabe der Zuständigkeit der JC und damit ggf. der kommunale Einfluss auf die Arbeitsmarktintegration der Gruppe der unter 25jährigen deshalb kontraproduktiv sei, weil den speziellen Vermittlungshemmnissen von Kindern und Jugendlichen[9] bisher im Netzwerk der kommunalen Eingliederungsleistungen durch JC und Kommune begegnet werden oder ein Konflikt z.B. aus der Notwendigkeit, Familie und Beruf oder eine Weiterbildung miteinander zu vereinbaren, zentral bearbeitet werden konnte.

Dagegen lassen sich praktische Erwägungen gegen eine Zersplitterung von Zuständigkeiten und trotz Umbenennung bzw. Weiterentwicklung der SGB -II-Leistungen zum Bürgergeld die Befürchtung stigmatisierender Effekte bei einem weiteren Leistungsbezug durch das JC ins Feld führen.

Die Lebenslage eines Kindes oder junger Menschen ist und bleibt untrennbar mit der Lebenslage der Eltern und auch der Einkommenssituation der Eltern verbunden. „Vermittlungshemmnisse“ bzw. Hemmnisse für die Entwicklung beruflicher Perspektiven liegen häufig nicht allein in der Person des betreuten Jugendlichen oder Kindes, sondern auch in seiner Familie und Bezugspersonen. Beim Übergang von der Schule in den Beruf hat sich in der täglichen Arbeit der JC und Sozialämter gezeigt, dass eine adäquate und vertrauensvolle Betreuung der jungen Menschen speziell in diesem Lebensabschnitt elementar ist, um Perspektiven und Orientierung zu schaffen. Insbesondere junge Menschen, die im familiären Umfeld Erwerbstätigkeit bislang nicht erlebten, benötigen hier fachliche Unterstützung und Motivation durch einen Beratenden, der die familiäre Situation genau kennt. Um besonderen Problemlagen und Interventionsbedarfen Rechnung tragen zu können, muss dabei auch eine Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe erfolgen.

Zu III. Auswirkungen auf die bestehenden Leistungssysteme

Deshalb sollten bisherige Netzwerkstrukturen und etablierte Angebote einschließlich der Kooperationen zwischen Leistungsträgern, Leistungsanbietern und ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen erhalten bleiben, zumal mit Spezialnormen wie den § 16h und 16k SGB II wirksame Förderinstrumente geschaffen wurden. Den JC sollte ferner weiterhin eine ganzheitliche Betreuung von Familien ermöglicht werden, unabhängig davon, bei welchem Träger die Kindergrundsicherung angesiedelt wird. Entsprechendes gilt für die Sozialämter, sofern eine Zuständigkeit für die Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft gegeben ist. Dies erfordert eine stärkere Zusammenarbeit unterschiedlicher Träger verschiedener Rechtskreise von BA, JC, Sozialämtern, der Kinder- und Jugendhilfe bis hin zu Schulämtern. Der Idee einer solchen Vernetzung liegt auch das Konzept der Jugendberufsagenturen zugrunde, um die Kompetenzen der zuständigen Institutionen enger zu verzahnen und zu koordinieren. Junge Menschen sollen so „wie aus einer Hand“ unterstützt werden. Jugendberufsagenturen habe sich mittlerweile in ganz Deutschland etabliert und arbeiten in dezentraler Verantwortung. Hierfür müsste ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen werden, der einen Austausch von Sozialdaten (in der Regel mit Zustimmung des Betreuten bzw. der Erziehungsberechtigten) datenschutzrechtlich absichert. Dies beinhaltet, dass ein Antrag auf Kindergrundsicherung auch im Kontext anderer Leistungen für die Antragsteller möglichst einfach sein muss. Ein einheitlicher Antrag auf existenzsichernde Leistungen muss genügen. Ob dieser beim JC, der Wohngeldstelle, der Familienkasse, dem Jugendamt oder der BA gestellt wird, sollte aus Sicht des Leistungsempfängers egal sein. Dabei muss auch eine Verknüpfung von reinen Geldleistungen und kommunalen Leistungen z.B. im Bereich Bildung und Teilhabe sichergestellt werden. Im Blick zu behalten sind zudem die Ansprüche von solchen Auszubildenden, die trotz des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II Ansprüche nach dem SGB II haben. Die Einführung einer Kindergrundsicherung darf einerseits nicht dazu führen, dass dieser Personenkreis finanziell schlechter steht als zuvor 

Soweit Kinder und Jugendliche auch weiterhin einen (subsidiären) Anspruch im SGB II/XII haben, führt dies zudem zu einer erheblichen Entlastung der Schnittstelle auf der Zeitschiene (Eil- und Akutfälle). Dies entspricht im Übrigen auch bereits jetzt der Situation im Verhältnis zu anderen vorgelagerten Leistungssystemen wie dem BAföG oder dem Wohngeldgesetz (WoGG). Gerade im Eilfall ist zudem das Ziel, der Familie Leistungen aus einer Hand zu gewähren, besonders hoch zu gewichten. 

Hiermit im Zusammenhang steht die Frage, wie in einer Kindergrundsicherung im Hinblick auf den einkommensabhängigen Zusatzbetrag mit Prognoseunsicherheiten und veränderten Verhältnissen im Bewilligungszeitraum umgegangen wird. Existenzsicherungssysteme müssen insoweit aus verfassungsrechtlichen Gründen hohe Ansprüche an die Aktualität der wirtschaftlichen Verhältnisse erfüllen und zeichnen sich regelmäßig durch eine auf den Cent genaue Anspruchsprüfung aus. Folge ist z.B. im SGB II – trotz verbreiteter nur vorläufiger Leistungsbewilligungen – der Erlass von etwa 1,2 Millionen Rückforderungsbescheiden im Jahr (BT-Drucks. 20/4987, 2). Es ist absehbar, dass sich die mit einer Kindergrundsicherung verfolgten Ziele nur erreichen lassen, wenn auf eine Spitzabrechnung, die zu Rückforderungen oder auch Nachzahlungen führt, weitgehend verzichtet wird. Technisch gelänge dies z.B. durch die Anknüpfung an einen vor dem Bewilligungszeitraum liegenden Bemessungszeitraum, wie bei den beitragsfinanzierten Entgeltersatzleistungen, den Leistungen nach dem BAföG (§§ 22, 24 BAföG) der Berufsausbildungsbeihilfe (§ 68 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III) oder beim steuerfinanzierten Kinderzuschlag seit dem Starke-Familien-Gesetz (§ 6a Abs. 8 BKGG). Denkbar (und „grundsicherungsrechtlich“ naheliegender) wäre die Anknüpfung an ein prognostiziertes Einkommen mit der Formulierung bestimmter Anforderungen an die Neubewilligung während eines laufenden Bewilligungszeitraums wie derzeit im Wohngeldrecht (§ 15, 27 WoGG). Wie auch immer die gesetzgeberische Ausgestaltung im Detail aussehen wird, bedarf es eines Sicherheitsnetzes im Form nachrangiger Ansprüche in den Existenzsicherungssystemen, um sicherzustellen, dass der existenzsichernde Bedarf stets und in jedem Einzelfall gedeckt ist.

Anhang

Abgrenzungsprobleme bei der Gewährung von existenzsichernden Leistungen für Kinder im SGB II und zur Bildung und Teilhabe (BuT), Ausbildung und Studium

I. Leistungen zur Existenzsicherung i. e. S.

Abgrenzungsprobleme resultieren schon grundlegend aus dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft. So war die Verfassungsmäßigkeit von Einstandspflichten auch in Fällen ohne rechtlich durchsetzbaren Unterhaltsanspruch des Kindes gegen ein Mitglied in „Patchwork“- Bedarfsgemeinschaften lange Zeit umstritten.[10]

Weiterhin bilden auch volljährige unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben mit ihren Eltern/ihrem Elternteil eine Bedarfsgemeinschaft, sofern die Eltern/der Elternteil im Haushalt des Kindes leben, bzw. das Kind dem Haushalt der Eltern/des Elternteils angehört.  Als Folge hiervon findet nicht nur nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen der/des mit dem volljährigen unter 25-jährigen Kind zusammenlebenden Eltern/Elternteils bzw. deren Partnern statt. Sofern die Kinder nicht ihren Bedarf, z.B.  durch Einkommen, selbst decken können oder durch z.B. Aufnahme eines Studiums in ein anderes Leistungssystem wechseln, kann die Bedarfsgemeinschaft auch nicht so ohne weiteres durch Auszug aufgelöst werden, vielmehr ist hierzu die Zustimmung des JC, schon im Hinblick auf die Übernahme der Unterkunftskosten für die neue Wohnung erforderlich.

Dies ist keinesfalls zwangsläufig: Bis zum 30.06.2006 galt die Einbeziehung gemäß § 9 Abs. 2 SGB II nur für minderjährige unverheiratete Kinder.  Ebenso ist nach § 60 SGB III die oder der Auszubildende bei einer Berufsausbildung förderungsberechtigt, wenn sie oder er außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt und die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreichen kann. Letzteres gilt nicht, wenn die oder der Auszubildende 18 Jahre oder älter ist, womit im Rahmen der Berufsausbildungsbeihilfe Volljährigen ein eigener Hausstand zugebilligt wird.

Sofern über den pauschalierten Regelbedarf hinaus Kosten des Umgangsrechts zu tragen sind, die einem getrennt lebenden bzw. geschiedenen Elternteil aus den Besuchen seiner minderjährigen Kinder entstehen, sind zusätzliche Lebenshaltungskosten des Elternteils in den Zeiten, in denen seine minderjährigen Kinder bei ihm wohnen, nach der Rechtsprechung des BSG zu übernehmen, da sie  zu einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II führen. Die temporäre Bedarfsgemeinschaft besteht für jeden Tag, an welchem sich das hilfebedürftige Kind länger als 12 Stunden in dieser Bedarfsgemeinschaft aufhält. Der Leistungsanspruch ist Tag genau zu berechnen, da die Bedarfe der Kinder in zwei verschiedenen Bedarfsgemeinschaften unterschiedlich hoch sein können und sich zeitlich gegenseitig ausschließen Daher kann es u.U. zu einem teilweisen Entfallen des Leistungsanspruchs und einer sich anschließenden Aufhebung und Erstattung bereits gewährter Leistungen kommen.[11] Die Berechnung der Leistungsansprüche ist komplex und verwaltungsaufwändig und für die Betroffenen häufig intransparent.

Besonderheiten bei der Einkommensberücksichtigung ergeben sich hinsichtlich der Leistungen Kinderzuschlag und Kindergeld. Diese Leistungen werden für Kinder gezahlt. Anspruchsberechtigt ist in der Regel ein Elternteil, jedoch nicht das Kind selbst (§ 62 i.V.m. § 32 EStG, §§ 1, 2 und 6a BKGG). Gleichwohl sind Kinderzuschlag und Kindergeld aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 11 Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB II – normativ – nicht den Anspruchsberechtigten, sondern den Kindern selbst als Einkommen zuzurechnen, wenn sie zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Für das Kindergeld gilt dies allerdings nur, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhaltes benötigt wird. Praktisch bedeutet letzteres, dass jegliche Kindergelderhöhung im Zweifel für SGB-II Bedarfsgemeinschaften insofern bedeutungslos wird, da diese ggf. beim Elterneinkommen berücksichtigt wird und damit zu einer Reduzierung des SGB-II-Leistungsanspruchs führt.

Abzugrenzen sind SGB II -Leistungen ferner vom System des Kindergeldzuschlages (KIZ) gemäß § 6a BKGG:

Danach erhalten Personen für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn u.a. bei Bezug des Kinderzuschlags keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 des SGB II besteht, wobei die Bedarfe nach § 28 des SGB II außer Betracht bleiben. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit ist das für den Antragsmonat bewilligte Wohngeld zu berücksichtigen. Wird kein Wohngeld bezogen und könnte mit Wohngeld und Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit vermieden werden, ist bei der Prüfung Wohngeld in der Höhe anzusetzen, in der es voraussichtlich für den Antragsmonat zu bewilligen wäre. Zielstellung des Kindergeldzuschlages ist es vor allem, den SGB II Bezug von Kindern zu vermeiden, bzw. zu vermeiden, dass ein Bedarf an SGB II -Leistungen aufgrund des Bedarfes der Kinder entsteht.

Auch hier besteht unter Umständen ein hoher Verwaltungsaufwand und Unübersichtlichkeit für die Beteiligten, gerade bei einem (Eltern-) Einkommen, das um den Grenzwert des Bezuges von SGB II-Leistungen und KIZ schwankt. Aufgrund der undurchsichtigen Regelungen ist es beispielsweise für potenzielle Anspruchsberechtigte schwer einzuschätzen, ob Anspruch auf Kinderzuschlag besteht. Dies und der geringe Bekanntheitsgrad werden dafür verantwortlich gemacht, dass viele anspruchsberechtigte Familien keinen Antrag stellen. So konstatiert eine Untersuchung des IAB: „Zahlreiche Indikatoren und Befragungsergebnisse weisen auf eine zu hohe Komplexität der einzelnen Leistungen und des Leistungssystems insgesamt hin, was sich zum Beispiel auch darin ausdrückt, dass viele potenziell Berechtigte ihren Leistungsanspruch gar nicht geltend machen. Um die vorrangigen Leistungen gegenüber der Grundsicherung zu stärken, ist es daher auch notwendig, die Antragstellung zu vereinfachen und eine „Ämterodyssee“ für die Betroffenen zu vermeiden. Dies kann durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden sowie eine Harmonisierung und Koordinierung der Leistungen erreicht werden und verringert zudem den Verwaltungsaufwand.“[12]

Auch der Bezug von Unterhaltsvorschussleistungen führt ggf. zu einer unübersichtlichen Lage. Anspruch haben Kinder von alleinerziehenden Müttern oder Vätern, wenn der andere Elternteil keinen oder einen unterhalb des Unterhaltsvorschusssatzes liegenden Unterhaltsbeitrag leistet, also nach Einberechnung des Kindergeldes der Mindestunterhalt nicht gesichert ist.

Der Bezug von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) schließt den Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach SGB II oder SGB XII nicht aus. Wegen der Nachrangigkeit dieser Leistungen werden UV-Leistungen als Einkommen des Kindes angerechnet, so dass sich die finanzielle Situation von Alleinerziehenden und deren Kindern trotz des Bezugs von UV-Leistungen nicht verbessert, wenn sie leistungsberechtigt nach SGB II oder SGB XII sind.

Dieser Parallelbezug von Leistungen nach UVG und SGB II oder SGB XII bedeutet für alle Beteiligten einen hohen Aufwand. Aufgrund des Nachrangs existenzsichernder Leistungen müssen die alleinerziehenden Elternteile sowohl bei den Sozialämtern und JC als auch bei den Leistungsträgern der vorrangigen Leistungen, d.h. insbesondere den UV-Kassen, die jeweiligen Anträge stellen und den entsprechenden Mitwirkungs- und Nachweispflichten nachkommen.

Die zuständigen Stellen prüfen daraufhin die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen und entscheiden über die Anträge. Vorleistungen der Grundsicherungsstellen ziehen daher entsprechende Antrags- und Erstattungsverfahren nach sich.

II. Leistungen für Bildung und Teilhabe, Ausbildung und Studium

Bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II, SGB XII und KIZ besteht ein Anspruch auf besondere  Leistungen für Bildung und Teilhabe (BuT).

Zu den Leistungen für Bildung und Teilhabe zählen:

• eintägige Ausflüge von Schule, Kita oder Tagespflege,

• mehrtägige Klassenfahrten von Schule, Kita oder Tagespflege,

• 174 Euro für die Ausstattung mit Schulbedarf pro Schuljahr,

• Kostenübernahme für ÖPNV-Tickets für Schülerinnen und Schüler – auch wenn die Fahrkarten für andere Fahrten nutzbar sind,

• Kostenübernahme für angemessene Lernförderung für Schulkinder – unabhängig von einer unmittelbaren Versetzungsgefährdung,

• kostenlose gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Schule, Kindertagesstätte oder Hort oder in der Tagespflege,

• der monatliche Betrag für soziale und kulturelle Aktivitäten wie etwa im Sportverein oder an der Musikschule in Höhe von pauschal 15 Euro.

Daneben können auch weitere tatsächliche Aufwendungen als Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft berücksichtigt werden, sofern es den Leistungsberechtigten im Einzelfall nicht zugemutet werden kann, diese aus den Leistungen aus den Pauschalen und aus dem Regelbedarf zu bestreiten.

Insbesondere die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie weisen darauf hin, dass dadurch Benachteiligungen aufgrund der sozio-ökonomischen Lage der Herkunftsfamilie sich verstärkt haben. Dies ist auch ein Indiz für Defizite im Schulsystem und der dort angebotenen Fördermöglichkeiten. Damit wird gleichzeitig die Frage aufgeworfen, inwieweit es Aufgabe eines Grundsicherungssystems ist, Nicht- bzw. Fehlleistungen der Kultusverwaltungen und Schulträger zu kompensieren. 

In diesem Sinn hat das BSG entschieden, dass Kosten für Schulbücher, die Schüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, durch das JC als Härtefallmehrbedarf zu übernehmen sind[13]. Fehlt es aufgrund der Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung existenzsichernder Bedarfe, sind die einschlägigen Regelungen über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende Leistungen, zu denen § 21 Abs. 6 SGB II gehört, verfassungskonform auszulegen. [14]

Bei Leistungsberechtigten wird nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Ob die Anschaffung eines internetfähigen Endgerätes nebst Zubehör zur Teilnahme am pandemiebedingten Hausschulunterricht einen als Zuschuss zu übernehmenden anzuerkennenden Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II in dessen verfassungskonformer Auslegung darstellt, wie das Thüringer Landessozialgericht[15] meint, ist umstritten, da § 21 Abs. 6 SGB II keine einmaligen Bedarfe umfasst. Die Notwendigkeit, einen Tablet-Computer für den Schulunterricht anschaffen zu müssen, begründet nach Ansicht des BSG[16] jedenfalls als nicht laufender Bedarf bis zum 31.12.2020 keinen grundsicherungsrechtlichen Härtefallmehrbedarf. Die Deckung von Bedarfen für den Schulunterricht, die der Durchführung des Unterrichts selbst dienen, läge in der Verantwortung der Schule und dürfe von den Schulen oder Schulträgern nicht auf das Grundsicherungssystem abgewälzt werden. Sofern den Kindern bzw. ihren Eltern Kosten dadurch entstehen, dass sie ihnen zur Erfüllung der Schulpflicht von den Ländern auferlegt werden, sei nicht das Fürsorgewesen, sondern vorrangig der Bereich der Eingriffsverwaltung betroffen.[17] Der Streit hat sich allerdings dadurch relativiert, dass ab dem 01.1.2021 § 21 Abs. 6 S.1 um folgenden Halbsatz ergänzt wurde:  „bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.“ Abgesehen davon, das „Zumutbarkeit“  ein sehr wertungsbedürftiges Kriterium ist, löst dies nicht die vom BSG thematisierte grundsätzlichen Frage, inwieweit  und unter welchen Voraussetzungen durch ein Grundsicherungssystem, Defizite in anderen Rechtbereichen oder auch der öffentlichen Infrastruktur zu reparieren sind bzw. repariert werden sollten.

Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ist normiert für den Fall einer Ausbildung, die dem Grunde nach förderungsfähig gemäß den Vorschriften des BAföG ist. Ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig ist, ist auf Grundlage der abstrakten, sachlichen Förderungskriterien und losgelöst von der Person des Auszubildenden zu entscheiden. Es kommt (nur) darauf an, ob die Ausbildung ihrer Art nach gefördert werden könnte. Entsprechend dem Wortlaut („dem Grunde nach förderungsfähig“) ist deswegen nicht maßgeblich, ob im Einzelfall tatsächlich eine Förderung nach dem BAföG erfolgt. Das Fehlen individueller Voraussetzungen für eine Förderung ist unerheblich und ändert nichts an der Förderungsfähigkeit dem Grunde nach, auch wenn Auszubildende letztendlich kein BAföG erhalten.

Dieser Leistungsausschluss verfolgt den Zweck, keine versteckte Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene außerhalb des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu ermöglichen.[18] § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II bestimmt insofern eine Ausnahme, als danach Leistungen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden können, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eine besondere Härte bedeutet. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Ausnahme hiervon gilt unter anderem nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB III bemisst. Deshalb ist ein Auszubildender, der lediglich so genanntes Schüler-BAföG erhält, unabhängig davon, ob er bei den Eltern wohnt, nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen.[19]

Dr. Miriam Meßling
Präsidentin Deutscher Sozialgerichtstag e.V.

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[1] Insbesondere Berufsausbildungsbeihilfe gemäß §§ 58 ff. SGB III.

[2] https://www.starkekinder-bw.de/fileadmin/user_upload/20_05_Ott-Schuermann-Werding_Schnittstellen_KiGruSi.pdf.

[3] Bruckmeier, Mühlhan, Peichl; Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen: https://www.iab-forum.de/mehr-arbeitsanreize-fuer-einkommensschwache-familien-schaffen.

[4] Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Weiterentwicklung des Systems monetärer Unterstützung von Familien und Kindern, Empfehlung (DV 3/16).

[5] Zu allem BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, BVerfGE 125, 175.

[6] Es ist jedenfalls eine Illusion, dass allein eine gleiche rechtliche Zugangsmöglichkeit zu staatlichen Bildungsangeboten ausreicht, um echte Chancengleichheit herzustellen und so (auf lange Sicht) alle Probleme im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit zu lösen. Vgl. zur Thematik z.B. El-Mafaalani, Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft, Köln 2020.

[7] Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.5, Rechtspflege Finanzgerichte, 2021.

[8] Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.7, Rechtspflege Sozialgerichte, 2021.

[9] Hierzu gehören z.B. Schulabsenz, fehlender Schulabschluss, Drogenkonsum, aggressives bzw. inkompatibles Sozialverhalten, Erforderlichkeit des Auszuges aus dem Elternhaus, fehlende Sprachkompetenzen, mangelnde Mitwirkungs- und Veränderungsmotivation.

[10] Seit dem Beschluss des BVerfG vom 27.07.2016118 (siehe Rn. 71) kann die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II (zu § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II siehe Rn. 137 ff.) unabhängig vom Bestehen zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche als geklärt gelten. Das BVerfG hat sich den Gründen des BSG angeschlossen. Für die Bestimmung der Bedürftigkeit habe der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er die Anrechnung von Einkommen des Elternteils anordnet (Evidenzkontrolle des BVerfG). Das BVerfG betont, dass eine Anrechnung auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn zivilrechtlich kein oder nur ein geringerer Unterhaltsanspruch besteht. Maßgebend sei das tatsächliche Wirtschaften „aus einem Topf“. Zwar bestehe ein Risiko der Unterdeckung, wenn Unterstützung tatsächlich verweigert werde. Der Gesetzgeber gehe jedoch plausibel begründbar davon aus, dass eine Existenzsicherung nur in einem Umfang erforderlich sei, in dem sie nicht durch Mitglieder einer häuslichen und familiären Gemeinschaft erfolge, weil anzunehmen sei, dass diese in besonderer Weise füreinander einstünden und bereit seien, ihren Lebensunterhalt auch jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu sichern. Das Mitglied der Bedarfsgemeinschaft werde daher nicht auf Almosen Dritter verwiesen, sondern auf Mittel innerhalb einer Familie. Bei diesen dürfe der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie in familiärer Verbundenheit und Solidarität tatsächlich erbracht würden. Die Lösung sieht das BVerfG im Einklang mit dem BSG in der Möglichkeit, eine tatsächliche Bedarfsunterdeckung durch eine Auflösung der Bedarfsgemeinschaft ggf. verbunden mit einem Auszug zu verhindern. Denn stünden Eltern und Kinder im konkreten Fall – entgegen der zutreffenden Erwartung – tatsächlich nicht mehr füreinander ein, fehle es an der erforderlichen Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Haushalt, die über das bloße Zusammenleben hinausgehe, und damit an einer Bedarfsgemeinschaft. Dann scheide auch eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II aus (Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 9 (Stand: 12.12.2022), Rn. 81) Die Übertragbarkeit der Entscheidung des BVerfG auf die sog. „Stiefkindfälle“ wird in der Literatur abgelehnt. In ihrer Betrachtung dieser Problematik gelangen Voigt/Greiser vielmehr differenzierend zu dem Ergebnis, dass § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II dann nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sei, wenn der Partner des Elternteils keine Unterstützungsleistungen an das Kind erbringt. Erfolgen derartige Leistungen, sei die Norm jedoch verfassungskonform. Die Autoren regen eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG an (Voigt/Greiser, ZFSH/SGB 2022, 80)

(Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 9 (Stand: 12.12.2022), Rn. 82_1).

[11] Vgl. hierzu z.B. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 7 (Stand: 29.11.2021), Rn. 262.

[12] Bruckmeier, Mühlhan, Peichl; Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen: https://www.iab-forum.de/mehr-arbeitsanreize-fuer-einkommensschwache-familien-schaffen/.

[13] BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R.

[14] BVerfG vom 23.7.2014 – 1 BvL 10/12 ua – BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 20, Rn. 116, 125.

[15] Thüringer LSG, Beschluss vom 8. Januar 2021 – L 9 AS 862/20 B ER, juris.

[16] BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 88/20 R, juris.

[17] BSG, a.a.O, juris Rn 21.

[18] BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 R.

[19] BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 61/08 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 17.